Verspieltes Vertrauen: Kontrastmittel bei MRT

Bis vor kurzem hielt die Fachwelt MRT-Untersuchungen mit Kontrastmittel für unbedenklich, von extrem seltenen Nierenkomplikationen einmal abgesehen.

Dass sich dies jetzt geändert hat, darauf wiesen vor kurzem deutsche Neuroradiolog*innen und Neurolog*innen mit einer differenzierten und informativen Übersichtsarbeit hin.[1]C. Lukas et al.: „Ablagerung von gadoliniumhaltigen Kontrastmitteln im Gehirn nach mehrfacher Anwendung: Konsequenzen für den Einsatz der MRT bei Diagnosestellung und Verlaufsbeurteilung der … Weiterlesen Sie schilderten die Datenlage zu den mittlerweile bekannt gewordenen Gadolinium-Einlagerungen im Gehirn nach wiederholten MRT-Untersuchungen mit Kontrastmittel. In einer gemeinsamen Stellungnahme[2]Ärztlicher Beirat der DMSG: Gadoliniumhaltige MRT-Kontrastmittel weiterhin sicher, URL: … Weiterlesen des Ärztlichen Beirats der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft Bundesverband e.V. (DMSG) und des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose e.V. (KKNMS) wurden hiervon abweichende Angaben verbreitet, und gadoliniumhaltige MRT-Kontrastmittel vereinfacht als „sicher“ bewertet. Ein geschöntes Informationsbild also. Auf Nachfrage an die DMSG stellt sich heraus, dass man sich dort der Diskrepanz bewusst ist, aber keinen Fehler darin sieht.

Die Stellungnahme von DMSG und KKNMS postuliert, dass tatsächliche gesundheitliche Schäden nicht bekannt seien, die MRT mit Kontrastmittel zur MS-Diagnose sicher und unverzichtbar sei, während im Krankheitsverlauf oft auf Kontrastmittel verzichtet werden könne. Zyklische Kontrastmittel seien sicherer als lineare Kontrastmittel. Die Stellungnahme schließt mit den Worten: „Ärzte sollten das Thema weiterhin aufmerksam verfolgen und beunruhigte Patienten über die aktuellen Entwicklungen informieren.

Beim Lesen des Übersichtsartikels kommt man allerdings schnell ins Staunen. Denn von einer in der Stellungnahme behaupteten „Sicherheit“ ist in dieser Übersicht keineswegs die Rede. Die Aussage, dass keinerlei gesundheitliche Schäden bekannt seien, wird erheblich dadurch relativiert, dass die Autor*innen mehrere Beobachtungen aufführen, denen man jetzt, nach Kenntnis der Möglichkeit bleibender Ablagerungen, erst einmal neu nachgehen müsse. So wurden z.B. bei MS-Betroffenen mit sekundär chronisch progredienten Verläufen Läsionsmuster nachgewiesen, die bisher der MS zugeschrieben worden waren, die aber genau dem Gadolinium-Ablagerungsmuster entsprachen, das nach wiederholten MRT-Untersuchungen mit Kontrastmittel auftreten kann. Diese Läsionsmuster zeigten eine enge Korrelation mit dem Behinderungsgrad. Auch die Datenlage, welche Kontrastmittelart zu bevorzugen sei, ist laut Artikel kontrovers. Wenn bislang noch keine Schäden bekannt geworden sind, kann das daran liegen, dass man noch nicht danach gesucht und Symptome schlicht der MS zugeschrieben hat.

Der Zielgruppe dieser Stellungnahme, MS-Betroffene und die Öffentlichkeit, wird die klare Aussage der Autor*innen zur fehlenden Evidenz für eine Therapieänderung bei klinisch stabilem Verlauf aufgrund neuer Marklagerläsionen in der MRT vorenthalten. Und zu guter Letzt wird der falsche Eindruck erweckt, Ärzt*innen seien offiziell dazu angehalten, MS-Betroffene über die Kontrastmittel-Problematik zu informieren, während im betreffenden Artikel das Gegenteil geschieht. Neurolog*innen und Neuroradiolog*innen wird hier nämlich nahe gelegt, es bestünde keine Aufklärungspflicht.

Was sagt nun die DMSG dazu? Alles völlig unproblematisch, so die Antwort. Inhaltliche Widersprüche oder gar fahrlässige Fehlinformationen könnten nicht erkannt werden, schließlich habe man doch auf die Übersichtsarbeit verlinkt. Dies stimmt, allerdings führt der Link zunächst nur zur Zusammenfassung, die noch keine relevanten Informationen enthält. Nur wenn man sich gut genug auskennt, kommt man von dort aus auf die Vollversion des Artikels, und könnte theoretisch, sofern man der medizinischen Fachsprache mächtig ist, herausfinden, was die Stellungnahme von DMSG und KKNMS alles nicht oder anders dargestellt hat.

Fazit: Die DMSG als maßgebliche Interessenvertretung von Betroffenen mit ihrem hohen Anspruch an die Aufklärung über MS lässt eine Stellungnahme von ärztlichen Beratern durchgehen, die den medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstand ganz anders darstellt, als er intern unter Neuroradiologen und Neurologen bekannt ist. Beschwichtigung hat Vorrang vor vollständiger Aufklärung. Der DMSG scheint nicht klar zu sein, welch schwerwiegenden Vertrauensverlust diese Art der „Informations“-Politik nach sich ziehen wird.

Jutta Scheiderbauer

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Quellen

Quellen
1 C. Lukas et al.: „Ablagerung von gadoliniumhaltigen Kontrastmitteln im Gehirn nach mehrfacher Anwendung: Konsequenzen für den Einsatz der MRT bei Diagnosestellung und Verlaufsbeurteilung der Multiplen Sklerose?“, in: Akt Neurol 2016; 43: S. 237–41, URL: https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0042-102953 [04.05.2021].
2 Ärztlicher Beirat der DMSG: Gadoliniumhaltige MRT-Kontrastmittel weiterhin sicher, URL: https://www.dmsg.de/multiple-sklerose-news/ms-therapien/news-article/News/detail/stellungnahme-gadoliniumhaltige-mrt-kontrastmittel-weiterhin-sicher/news-pagination/4/?L=0&cHash=5b4a4bda5a59e6a25f6401fe5ed24fdb, 10.05.2016 [04.05.2021].