Wer von einem MS-Schub betroffen ist, bekommt vom behandelnden Arzt in den meisten Fällen eine Behandlung mit Kortison angeboten. Bleibt die Gabe des Medikamentes ohne Erfolg oder kann aufgrund der individuellen Situation des Patienten kein Kortison verabreicht werden, sieht die Therapieleitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) als weitere Behandlung eine so genannte therapeutische Apherese vor.
Oft wissen Betroffene nichts mit dem Behandlungsverfahren anzufangen. Im Folgenden wollen wir daher kurz vorstellen, wie sie funktioniert, was man über die Wirkung sagen kann und welche möglichen Nebenwirkungen oder Komplikationen auftreten können. Als Basis dieses Artikels diente das Konsensus-Papier zum Einsatz der therapeutischen Apherese in der Neurologie.[1]W. Köhler et al.: „Konsensuspapier zum Einsatz der therapeutischen Apherese in der Neurologie“, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2019; 2 (1), S. 15–33. Bei der therapeutischen Apherese handelt es sich um alle medizinischen Verfahren, bei denen aus dem Blut des Patienten außerhalb des Körpers bestimmte schädliche Bestandteile abgetrennt werden. Bei der Behandlung von MS-Schüben werden, je nach Verfügbarkeit und Patientenklientel, der Plasmaaustausch oder die Immunadsorption durchgeführt. Beim Plasmaaustausch, auch Plasmapherese genannt, wird dem Patienten über einen peripheren oder zentralnervösen Zugang kontinuierlich Blut entnommen und dann, mit Hilfe einer Zentrifuge oder eines Membranplasmaseparators, das Blutplasma von den Blutzellen getrennt. Das abgetrennte Plasma wird dann verworfen und durch frisches Plasma oder Kochsalzlösungen ersetzt.
Als selektives Verfahren stellt die Immunadsorption eine Weiterentwicklung des unspezifischen Plasmaaustausches dar. Zuerst wird eine Plasmaseparation vorgenommen, bei dem das Blutplasma mit allen gelösten Bestandteilen von den Blutzellen getrennt wird. In einem zweiten Schritt wird es dann von den pathogenen Substanzen befreit und dem Patienten in gereinigter Form inklusive seiner Blutzellen wieder zugeführt. Studien weisen darauf hin, dass die Immunadsorption weniger Nebenwirkungen aufweist als der Plasmaaustausch.[2]W, Köhler et al.: “A randomized and controlled study comparing immunoadsorption and plasma exchange in myasthenic crisis”, in: Journal of Clinical Apheresis, 2011; 26, S. 347–55. Bei der Behandlung eines MS-Schubes werden in der Regel 5-6 Immunadsorptionen bzw. Plasmaaustausche innerhalb von 10 Tagen durchgeführt. Spricht der Patient auf die Behandlung nicht an, kann der Arzt sich im Einzelfall für eine Erweiterung auf 7-8 entscheiden.
Verschiedene Studien weisen auf eine Effektivität des Plasmaaustausches für die Behandlung von Schüben, bei denen Kortison unwirksam war, hin. Auch für die Immunadsorption gibt es Daten, die auf eine Wirksamkeit hindeuten, die Ansprechrate der Verfahren liegt laut Studiendaten bei ≥70%. Zur Frage, ob eine Apherese sich auf den Krankheitsverlauf positiv auswirkt, gibt es aktuell keine aussagekräftigen Untersuchungen. Jedoch kann in der Praxis immer wieder beobachtet werden, dass sich schwerwiegende Einschränkungen, die durch einen Schub hervorgerufen wurden, bei einem Teil der Betroffenen nach dem Einsatz einer Apherese deutlich besserten.
Nebenwirkungen und Komplikationen
Bei allen Verfahren der therapeutischen Apherese können Nebenwirkungen und Komplikationen auftreten. Es sind Blutergüsse und Blutungen an der Punktionsstelle, Infektionen und Thrombosen möglich. Zudem können Veränderungen des Blutflusses und Blutdruckabfall auftreten. Beim Plasmaaustausch gibt es zudem Risiken bezüglich Gerinnungsstörungen, Störungen der Motorik (krampfartig) und der Sensibilität (Kribbeln), durch Elektrolytverschiebungen und Beeinflussungen von Medikamentenspiegeln sowie allergische Reaktionen bis zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock. Sehr selten können beim Plasmaaustausch Lungenödeme bzw. ein transfusionsbezogenes akutes Lungenversagen auftreten. Trotz vielfältiger Sicherheitsvorkehrungen bleibt die Übertragung von Krankheiten durch Blutprodukte ein anerkanntes Risiko des Plasmaaustausches.
Risiken minimieren
Blutdrucksenkende Medikamente sollten in direktem zeitlichem Abstand zur Apheresebehandlung nicht eingenommen werden, bzw. ihre Einnahme sollte vorher kritisch vom Arzt geprüft werden. Auch sollte auf ACE-Hemmer, das sind Arzneistoffe, die insbesondere in der Therapie des Bluthochdruckes und der chronischen Herzinsuffizienz Anwendung finden, verzichtet werden.
Fazit
Ob die Apherese sich auf den langfristigen Krankheitsverlauf auswirkt, wissen wir nicht, weil dazu keine Studien durchgeführt wurden. Wir können lediglich sagen, dass sie bei Personen, bei denen ein Schub zu schweren Beeinträchtigungen geführt und Kortison versagt hat, eine zusätzliche Behandlungsoption mit gewissem Potential ist. Wie bei jeder Behandlung sollten auch bei der Apherese immer mögliche Risiken und Nebenwirkungen dem möglichen Nutzen gegenübergestellt werden. Apherese-Verfahren bei nur leichten Schubsymptomen stehen in keinem Verhältnis zum Risiko. Jedoch bleibt es auch bei schwereren neurologischen Beschwerden jedem selbst überlassen, ob man sich für oder gegen diese Behandlungsoption entscheidet. Dafür sollte man sich gut vom Arzt beraten lassen und dann auf sein eigenes Bauchgefühl vertrauen.
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Quellen
↑1 | W. Köhler et al.: „Konsensuspapier zum Einsatz der therapeutischen Apherese in der Neurologie“, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie, 2019; 2 (1), S. 15–33. |
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↑2 | W, Köhler et al.: “A randomized and controlled study comparing immunoadsorption and plasma exchange in myasthenic crisis”, in: Journal of Clinical Apheresis, 2011; 26, S. 347–55. |