Den beiden August-Ausgaben der Zeitschriften „Der Nervenarzt“ und „Aktuelle Neurologie“ liegt ein ordentlicher Stapel Werbeblättchen bei, die aber gar nicht so aussehen, denn sie sind in Hochglanz und ganz dem Look wissenschaftlicher Publikationen angepasst. An dieser Marketingstrategie kann man gut nachvollziehen, mit welchen Tricks die Pharmafirmen arbeiten, um ihre (Fehl-)Informationen an Neurolog*innen weiterzugeben.
In der Zeitschrift „Aktuelle Neurologie“ finden sich Blättchen von Merck Serono GmbH, Genzyme GmbH und zweimal von Biogen GmbH, im „ Nervenarzt“ eines von Genzyme GmbH. Lediglich bei den Biogen-Blättchen prangt das Biogen-Logo klein auf der Vorderseite, bei allen anderen findet sich deutlich sichtbar kein Hinweis darauf, dass es sich bei der Zeitschrift um Werbung handelt.
Schaut man sich den Inhalt der Werbeblättchen an, findet man kurze, leicht lesbare Texte. Im Gegensatz dazu, sind die meisten echten wissenschaftlichen Publikationen weniger einfach verständlich. All diese Blättchen sind in einem kollegialen Ton gehalten. Insbesondere im „Thieme Drug Report“ (dem Blättchen von Biogen) wird der Eindruck vermittelt, ein Kollege wäre für den Inhalt der Artikel zuständig, was gerade unter Mediziner*innen vermutlich zu einem immensen Vertrauensgewinn führt, im Sinne von: Kolleg*innen wissen, wovon sie sprechen und was für Ärzt*innen wichtig ist. In den beiden Blättchen von Genzyme und Merck werden immer wieder Zitate von Ärzt*innen eingestreut. Diese sind meist sehr kurz und dabei wenig aussagekräftig, z.B. „Es gab keine neuen Sicherheitssignale“ oder „Es wird derzeit ein Beobachtungszeitraum von 5 Jahren überblickt“. Auch in der „Beilage für Nervenärzte“ (Genzyme) wird suggeriert, es handle sich um eine von Fachleuten zusammengestellte systematische Aufarbeitung des aktuellen Wissenstandes: „Was dies für den klinischen Alltag bedeutet, haben Experten bei einem Post-AAN-Workshop in Frankfurt diskutiert und die aktuellen Studiendaten in ihrer Relevanz bewertet.“ Und auf der letzten Seite werden eine Reihe von Expert*innen mit Titel und Foto abgebildet. Aber für wen sie genau arbeiten, welche Veröffentlichungen sie verantwortet haben oder wie es mit Interessenkonflikten aussieht, wird nicht erwähnt.
Auch wer den Inhalt der Blättchen näher betrachtet, wird schnell den Unterschied zu wissenschaftlichen Publikationen feststellen und findet dieselben, ungerechtfertigt geschönten Informationen wieder, die Pharmafirmen auch in ihren anderen Publikationen platzieren. Im „Thieme Drug Report“ wird beispielsweise propagiert, dass mit der Therapie auch langfristig ein Fortschreiten der körperlichen Behinderung relevant beeinflusst werden könnte. Die Therapiedauer wird in den abgebildeten Graphiken in Wochen angegeben, was die Wirksamkeit größer erscheinen lässt und verschleiert, wie kurz die eigentliche Studiendauer war. In der „Beilage für Nervenärzte“, die Daten zur Langzeitwirksamkeit des Genzyme-Medikaments Alemtuzumab präsentiert, wird mit dem Erhalt von Hirnvolumen geworben, ohne einen Vergleich mit unbehandelten Patient*innen zu zeigen. Selbstverständlich werden in den Blättchen mögliche Nebenwirkungen der Medikamente verschwiegen oder verschleiert. Im „Thieme Drug Report“ fehlen absoluten Zahlen für Nebenwirkungen, stattdessen liest man über „ein insgesamt günstiges Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil.“ In „Blickpunkt Medizin“ fehlen Daten zum Umgang mit Nebenwirkungen komplett, dafür findet sich folgender Satz: „Die Nebenwirkungen sind bei frühzeitiger Erkennung gut behandelbar.“
Für lesefaule oder arg beschäftigte Neurolog*innen findet sich im „Thieme Drug Report“ am Ende eine heraustrennbare Seite, auf der alle wichtigen Kennzahlen aufgedruckt sind. In der einzigen Tabelle auf diesem Blatt wurden nur die Parameter aufgenommen, die besonders hohe Kennzahlen (relative Risikoreduktion) aufwiesen.
Warum so ein finanzieller und redaktioneller Aufwand, warum gerade jetzt? Nun, Biogen hat seit August ein neues Medikament auf dem Markt: der Wirkstoff Daclizumab HYP wird unter dem Handelsnamen Zinbryta® vertrieben. Und wie es so üblich ist, wird für ein neues Produkt ordentlich die Werbetrommel gerührt. Da müssen andere Pharmafirmen mit ihren Medikamenten, die bereits länger auf dem Markt sind, gegenhalten. Natürlich wirbt man auch bei MS-Patient**innen, aber eben vor allem bei denen, die das Medikament verschreiben und so den Absatz steigern helfen: den Neurologen. Vermutlich ist diese Werbeblättchen-Offensive nur die Vorbereitung für das Ausschwärmen von Pharmareferent*innen in Praxen und Krankenhäuser, um über die in den Blättchen verbreiteten Daten zu sprechen.
Die beiden Zeitschriften machen sich nur vordergründig nicht die Hände schmutzig, indem sie ins Impressum der Werbeblättchen so etwas schreiben wie: „Sonderpublikation“ oder: „erscheint außerhalb des Verantwortungsbereichs der Herausgeber der Zeitschrift“. In den beiden Zeitschriften selbst ist das Thema MS-Medikamente auch in keinem Artikel überhaupt erwähnt. Hier verschwimmen die Grenzen von gutem Wissenschaftsjournalismus zu Gunsten der Pharmawerbung und helfen dabei, den Ruf solcher Zeitschriften zu ruinieren. Beim Betrachten der Werbeblättchen kann man sich ausrechnen, welche Mittel den Pharmafirmen zur Verfügung stehen, und welche Einnahmen die Verlage damit erzielt haben. Sie geben ihr Design her, welches wissenschaftliche Seriosität vermittelt, und riskieren damit ihren Ruf. Die wahren Leidtragenden sind am Ende aber die MS-Betroffenen, die im Gespräch mit ihren Neurolog*innen immer weniger auf ausgewogene Informationsvermittlung zum Thema Medikamente hoffen können.
Nathalie Beßler und Christiane Jung
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