Nicht streitsüchtig

Reha lief nicht gut? Hilfsmittel wurde wird nicht bewilligt? Schaden durch fehlende Aufklärung? Wenn uns solche Themen in der Beratung begegnen, empfehlen wir oft, rechtliche Mittel einzulegen. Aber wie wirkungsvoll sind solche Mittel? Und wo liegen Grenzen? Erwarten wir vielleicht zu viel vom Patientenrecht? Nathalie Beßler im Gespräch mit einem, der es wissen sollte: Christian Becker, Trierer Fachanwalt für Medizinrecht.

Nathalie Beßler: Herr Becker, kann es sein, dass Sie der einzige Medizinrechtler in der Stadt sind, der sich überhaupt für Patientenfälle interessiert und die auch tatsächlich annimmt – alle anderen vertreten Krankenhäuser und Chefärzte? Stimmt das? Stimmt das noch? Wonach wählen Sie ihre Fälle aus?

Christian Becker: Ich habe mich tatsächlich bewusst für die Patientenseite entschieden; ich komme ja ursprünglich aus dem Sozialrecht und nicht so sehr aus dem Medizinrecht. Und da habe ich ja schon vielfach gegen die Krankenkassen Patienten vertreten. Und, das hat sich eigentlich zwangsläufig daraus ergeben, dass ich dann eben auch im Medizinrecht die Patientenseite gewählt habe. Das heißt also: wenn es um Arzt-Haftungsfälle geht, mache ich nur die Patientenseite, weil ich finde, sie können da nicht beides machen. Denn wenn sie mal einen Arzt vertreten, dann können sie gegen diesen Arzt schon mal nicht mehr vorgehen. Und, ich finde, wenn man sich mal einen Anwalt sucht, hat man ein Recht darauf zu erfahren, aus welcher Ecke derjenige kommt. Es ist nicht so, dass ich überhaupt nie Ärzte vertrete – aber nicht im Haftungsrecht. Das Medizinrecht ist ja nicht nur das Arzthaftungsrecht. Medizinrecht hat so viele Facetten, da geht es um ärztliche Gebühren, da geht es auch darum, dass Ärzte miteinander einen Praxisgemeinschaftsvertrag machen und natürlich habe ich auch ein paar Ärzte, für die ich Verträge mache, ja, für die ich bestimmte Ansprüche gegen die Krankenkasse durchsetze, denn Krankenkassen sind sowieso einer meiner Lieblingsgegner. Aber wenn es ums Haftungsrecht geht, da finde ich, kann man nur eine Seite vertreten – ich teile Ihre Auffassung, dass ich, glaube ich, in Trier der einzige zumindest Fach-Anwalt für Medizinrecht bin, der das macht. Da vertrete ich ausschließlich Patienten.

Als MS-Stiftung geht es uns insbesondere um Klientinnen mit chronischen Erkrankungen, ganz speziell um solche mit Multipler Sklerose. Gibt es viele, die mit einer chronischen Krankheit und aus den verschiedenen Gründen an Sie herantreten? 

Ja, das ist ein großer Teil meiner Auftraggeber, Menschen mit chronischen Krankheiten, auch viele chronische Schmerzpatienten. Weil das natürlich die Leute sind, die Geld kosten. Die kosten die Ärzte Zeit, die kosten die Krankenkassen viel Geld, ja, und sie kommen halt immer wieder, weil das nun mal das Wesen einer chronischen Erkrankung ist, dass sie nicht irgendwann ausheilt. Und das sind natürlich auch die, die am meisten Probleme haben. Finden Sie mal einen Arzt, der sich die Zeit nehmen will für jemanden, der immer wiederkommt und immer wieder klagt. Als Arzt habe ich es natürlich auch einfacher, wenn ich jemandem einfach eine Therapie angedeihen lassen kann und dann ist wieder alles gut. Also habe ich erstens schon mal Probleme bei der Arztwahl und zweitens Probleme mit den Kostenträgern, also ob private Krankenversicherung oder gesetzliche Krankenkassen. Dann geht es um den Behinderungsgrad, der natürlich auch bei chronischen Erkrankungen eine Rolle spielt. Vielleicht Probleme am Arbeitsplatz und Berentung, Krankengeld, also alles, was mit Geldleistung zu tun hat. Das ist natürlich ein Kreis von Leuten, die es überall schwer haben, und insofern müssen die sich halt auch oft überall streiten. Und dafür brauchen sie ein bisschen Hilfe. Das betrifft nicht nur oder nicht in der Hauptsache MS-Patienten, das betrifft alle möglichen chronischen Erkrankungen. Es gibt fast keine Erkrankung, die ich hier noch nicht gesehen habe in der Kanzlei.

Wenn jemand z.B. einen Widerspruch bei der Krankenkasse eingereicht hat, weil ein Hilfsmittel nicht bezahlt werden soll, und der Widerspruch wird auch abgelehnt, geht der dann direkt zu Ihnen oder ist dann noch eine weitere Beratungsstelle, z.B. der VDK, zwischengeschaltet? Wie läuft das üblicherweise ab?

Da ich das alles schon sehr lange mache, kenne ich natürlich die Strukturen und das ist in jeder Stadt, glaubʼ ich, auch nochmal ein bisschen anders. Also insbesondere die Struktur hier in Trier kenne ich, und der VDK ist natürlich für viele der erste Ansprechpartner, weil er einfach kostengünstig ist. Die Leute haben ja Probleme mit ihren Kostenträgern, also werden sie natürlich auch erstmal denken: „Wenn ich zum Anwalt gehe, kostet mich das Geld.“ Das heißt, der VDK ist an vielen Stellen der erste Anlaufpunkt. Die sind gut dafür, wenn ich mich mit Behörden ohnehin schwertue. Oder wenn es darum geht, irgendwelche Anträge zu formulieren. Aber wenn es konkret ums Juristische geht oder darum, auf gleicher Ebene mit solchen Behörden zu diskutieren und auch mal etwas durchzusetzen und nicht einfach nur Wünsche vorzubringen, ja, dann sind die mir absolut nicht durchsetzungskräftig genug,

Wir empfehlen solche Anlaufstellen auch oft, wenn es darum geht, einen Widerspruch einzureichen oder eine Neubewertung, z.B. des Grades der Behinderung, zu veranlassen, solche Sachen. Das ist Routinearbeit, glaube ich, da gibt es Vorlagen dazu. Und das Angebot ist ziemlich niedrigschwellig.

Ja, genauso würde ich das auch sehen. Man braucht nicht immer gleich einen Anwalt. Wer erstmals einen Grad der Behinderung beantragt oder eine Verschlimmerung des Grades der Behinderung beantragt – dafür ist nicht zwingend anwaltliche Hilfe notwendig. Die ist dann notwendig, wenn man sieht: die Behörde will nicht so, wie ich das will, und ich muss das durchsetzen. Und das hängt wiederum auch davon ab, ob die Leute eine Rechtschutzversicherung haben und ab wann diese Art von Rechtschutzversicherung etwas leistet. Obwohl es die Rechtschutzversicherer wirklich nicht viel Geld kostet (denn Anwaltsgebühren sind eher niedrig im Sozialrecht und Gerichtsgebühren fallen schon mal gar keine an), haben die Rechtschutzversicherer nur ein arg eingegrenztes Leistungsangebot. Meistens zahlen die erst ab einem Klageschutzverfahren vorm Sozialgericht, das heißt noch nicht mal für das Widerspruchsverfahren. Es gibt erst in den letzten Jahren einige Versicherer, die zumindest noch das Widerspruchsverfahren mit abdecken. Aber die Beratung vorher kriegen sie nicht bezahlt. Das schreckt natürlich auch viele Leute ab. Kann ich auch verstehen! Und da, würde ich sagen, ist der VDK auch eine gute Ergänzung, damit man überhaupt einen Ansprechpartner hat. Man muss halt wissen, mit welchem Problem man zu wem geht.

Gibt es noch andere Anlaufstellen?

Es gibt noch einen DGB-Rechtschutz, aber die sind nicht in der Breite aufgestellt. Da muss man Gewerkschaftsmitglied sein, klar. Aber ansonsten haben wir in Trier an Organisationen gar nichts, die Sozialrechtsvertretung anbieten. Und auf Anwaltsseite sehr, sehr, sehr wenig. Angefangen hat es mit einem Fachanwalt für Sozialrecht hier in Trier. Mittlerweile gibt es noch zwei, drei mehr. Es ist trotzdem noch ein Unterschied wie Tag und Nacht, wenn man im Vergleich dazu sieht, wie viele Anwälte sich im Arbeitsrecht rumtreiben.

Schauen wir nochmal auf Klienten mit MS. Wenn sie auf die letzten paar Jahre zurückblicken, was brauchten die, was waren das für Fälle?

Ich weiß nicht, wie viele dieser Fälle es tatsächlich hier in Trier gibt, aber bei mir sind die eigentlich eher wenig vertreten. Wenn, dann geht es um den Grad der Behinderung, oftmals, wenn die Gehfähigkeit nachlässt, um die Merkzeichen G und AG. Und um Hilfsmittelversorgung, ganz klar, ob das dann der Rollstuhl ist oder …

…eine Kühlweste ist…

… oder ein behindertengerechtes Dreirad. Da habe ich auch schon Prozesse geführt. KFZ-Hilfe, wenn es dann um einen behindertengerechten Einbau, vielleicht eine Schaltautomatik geht, für ein Fahrzeug, das ich dann auch noch bedienen kann. Alles das, was an Bedürfnissen eintritt, wenn die körperliche Leistungsfähigkeit nachlässt so nach und nach …

Und zugleich hochpreisig ist in der Anschaffung.

Natürlich. Und dann muss man erstmal durch das ganze Dickicht der in Betracht kommenden Leistungsträger durchsteigen. Das ist ja immer noch so, obwohl es eigentlich schon von Gesetzes wegen seit Jahrzenten anders sein sollte: dass man immer noch vom einen zum anderen geschickt wird, anstatt dass der, der eigentlich dazu verpflichtet wäre, den Antrag entgegennimmt und ihn selber dahin weiterleitet, wo er denkt, dass das die zuständige Stelle ist. Ich habe auch mit Themen wie Berentung oder Berufsunfähigkeitsversicherung zu tun. Um die Behandlung selber geht es weniger, also dass wir da Streitigkeiten haben, dass da Ärzte wegen einer falschen Behandlung angegangen werden, da würde mir spontan jetzt nichts zu einfallen.

Das ist ja erstaunlich. Aber vielleicht haben die Leute nach einem Behandlungsfehler andere Dinge zu tun, als sich einen Anwalt zu suchen.

Ja, ich denke, das ist genau der Punkt. Ich bekomme ja nur die Spitze des Eisberges mit. Es gibt auch noch eine riesengroße Hemmschwelle, überhaupt zum Anwalt zu gehen. Klar, da geht es um Kosten. Dann muss man überhaupt erstmal jemanden finden, den man dann auch für fähig hält. Der auch empathisch genug ist, sich damit auseinander zu setzen. Das ist mir durchaus bewusst. Ich weiß nicht, wie viele Leute ich hier sitzen habe, die mir sagen: „Ich bin zum ersten Mal in meinem Leben beim Anwalt.“ Ich glaube, dass diese Klientel tatsächlich eher nicht streitsüchtig ist, sondern eher Streit vermeidet, aber dann irgendwann keinen Ausweg mehr sieht. Das ist das eine Problem. Das Zweite ist, dass es immer noch sehr, sehr viele Leute gibt, die denken: Wenn Behörden irgendetwas entscheiden, dann wird es schon seine Richtigkeit haben.

So denken sie auch über Arztentscheidungen.

Ja, aber ich glaube halt schlicht: Die Sachen kommen nicht zum Anwalt. Also die Leute wechseln den Arzt, beschweren sich auch mal, wenden sich an die Ärztekammer …

Oder ergeben sich einfach.

…und ergeben sich danach ihrem Schicksal. Dass da wirklich gestritten wird in dem Bereich, kann ich aus meiner Praxis jedenfalls nicht sagen. Da habe ich nicht besonders viel gesehen.

Man muss davon ausgehen, dass MS-Medikamente, die nur kurze Zulassungszeiten hatten, vermutlich auch Langzeitschäden anrichten. Das wissen wir bloß noch nicht. Also wer da den Schaden hat, sind die Patienten, in aller Regel. Das nachzuweisen ist natürlich schwierig, oder? Schwer zu sagen, ob man den Leuten überhaupt noch den Mut dazu machen soll, in solchen Fällen, weil es vielleicht doch aussichtslos ist am Ende?

Also bei Behandlungsfehlern reden wir ja immer darüber, dass ein Arzt gegen den Standard verstoßen muss, gegen den generell geltenden Standard der Behandlung. Aber dafür muss es auch erstmal einen geben. Wenn es keinen richtigen Standard gibt, auf den sich dann wirklich die große Mehrheit einigen kann, und der auch relativ klar ist, dann ist da natürlich viel möglich in dem Bereich. Und dann ist es umso schwerer nachher zu sagen: das war fehlerhaft, das und das jetzt zu verschreiben, so zu therapieren, wie auch immer.

Wir sind jetzt in der letzten Zeit häufiger nach einer Sache gefragt worden, die uns ganz neu war, nämlich behaupten da Leute am Telefon: „Helft mir, ich habʼ doch gar keine MS! Ich bin falsch diagnostiziert worden! Das hat mein Leben zerstört! Ich möchte, dass diese Diagnose gestrichen wird.“ Wir können da nicht helfen, wir sind ja auch keine Juristen. Ich wollte das einfach mal an Sie weitergeben. Ist das technisch möglich? Haben Sie sowas vielleicht schonmal gemacht?

Sie meinen, dass ich gegen einen Arzt oder gegen eine Klinik vorgehe und sage: „Ich möchte, dass die Diagnose aus meinen Akten entfernt wird“? Das ist äußerst schwierig.

Warum? 

Weil es dann des Nachweises bedürfte, dass es objektiv falsch gewesen ist, diese Diagnose zu stellen zu diesem Zeitpunkt. Da muss ich ja auch sagen: warum durfte er die Diagnose nicht stellen? Und das muss ich nachweisen. Der Arzt muss nicht nachweisen, dass seine Diagnose richtig war, sondern ich muss nachweisen, dass die Diagnose falsch war. Wir haben halt eine Beweislast und die liegt beim Patienten. Der soll dem Mediziner beweisen, dass der Mediziner medizinisch falsch gelegen hat. Viel Glück dabei. Aber es wäre möglich, dass die Diagnose nicht mehr fortgeschleppt wird. Das Problem habe ich in vielen Verfahren, dass Leute arbeitsunfähig geschrieben werden und es steht noch irgendeine Altdiagnose da drin, die mit der Arbeitsunfähigkeit gar nichts zu tun hat, weil die Ärzte sagen: Ist noch so in unserem PC drin. Das zu löschen ist sicherlich möglich. Ich kann mich noch an Verfahren erinnern: Ab dem Zeitpunkt kommt die Diagnose da nicht mehr mit rein, weil nachgewiesen ist, dass sie falsch gewesen ist. Das heißt nicht, dass ich die von vor fünf Jahren gelöscht bekomme – das ist so ein Streit mit Kliniken und Ärzten um vergangene Diagnosen. Da macht man sich kaputt. Das würde ich auch nicht empfehlen.

Wenn nach der MS-Diagnose das Leben den Bach runtergegangen ist, der Partner gegangen und der Job auch weg ist, das ist ja nichts, was man mit einem Verfahren wieder rückgängig machen könnte. Der Schaden, der da angerichtet wurde. 

Ich sage den Leuten: „Ich kriege weder ihre Prinzipien wiederhergestellt, ich kriege auch nicht hin, dass die sich jetzt besonders schlecht fühlen, weil die Sie falsch behandelt haben.“

Die meisten Leute klagen auch nicht, um Geld zu bekommen, die sagen: „Ich will nicht, dass jemand anderes das nach mir nochmal mitmachen muss.“ Den Zahn muss ich ihnen aber direkt ziehen.

Noch eine andere Frage: Wenn MS-Betroffene sich gegen eine Therapie entscheiden, haben die dann oft Sorge, dass es schwierig werden könnte, Erwerbsminderungsrente zu beantragen. Ist Ihnen diese Problematik bekannt? 

Ja, also das ist ein Klassiker. Bei uns im Sozialrecht gilt immer noch das Prinzip: Wer viel klagt und viel zu Ärzten rennt, muss ja irgendwas haben. Da die ganzen Verfahren ja letzten Endes durch Arztbefunde und Sachverständigengutachten entschieden werden, ist es natürlich so, dass alles danach giert, Behandlungsberichte zu sehen. Und je mehr das sind, desto mehr kann man den Leidensdruck begründen. Deshalb haben natürlich diejenigen schlechtere Karten, die sich jahrelang selbst therapieren, die haben dann bspw. 5 Jahre lang außer dem einmal jährlichen Besuch des Hausarztes keine Arztbefunde. Und dann werden sie natürlich auch gefragt: „Dann kann es ja nicht so schlimm sein, oder?“ Das ist so ein Zirkelschluss, ein falscher Schluss. Warum soll jemand, um die Rente zu bekommen, zu einem Arzt gehen, der ihm nicht helfen kann? Das ist eine absurde Annahme. Letzten Endes kommt es darauf an, dass man nachweist, wie stark man beeinträchtigt ist.

Würden Sie also empfehlen, doch irgendwie regelmäßig beim Neurologen vorstellig zu werden, um so ein Verfahren vielleicht später zu erleichtern? 

Ja, muss man doch schon so sagen. Mediziner müssen ja eins wirklich machen: Sie müssen dokumentieren. Und wenn ich da war, dann ist zumindest was davon dokumentiert. Und wenn etwas dokumentiert ist, dann existiert das auch.

Damit sind wir beim Thema Patientenrecht. Es hat ja Änderungen gegeben, es ist als großer Wurf bezeichnet worden, die letzte Novellierung des Patientenrechts. Wie ist Ihr Eindruck?

Es ist halt sehr, sehr viel Aktionismus. Da ist natürlich der Aktionismus des Herrn Spahn, irgendetwas aufzugreifen und damit drei Tage später ein Gesetz zu machen. Wie das halt so ist, wenn man so unmittelbar agiert, da fehlt halt immer die Gründlichkeit. Also was das Arzthaftungsrecht angeht, und das sage ich natürlich jetzt als Patientenrechtler: da hat sich gar nichts geändert. Im Grundsatz bleibt es dabei, dass man als Patient dem Arzt nachweisen muss, wenn der wirklich so einen groben Fehler gemacht hat. Und glauben Sie mir: es gibt nichts, wo ein Mediziner sich nicht rausreden kann. Also Patienten müssen nachweisen, dass da entweder eine Aufklärung nicht oder falsch stattgefunden hat.

Was wirklich gut ist, ist das Schlichtungsverfahren von der Landesärztekammer. Und da kann ich auch die Bedenken, die die meisten Leute haben, die dann sagen: „Ist ja Landesärztekammer, also die stehen ja sowieso im Lager der Ärzte“, nicht teilen. Ich weiß, dass ein Drittel dieser Verfahren dazu führt, dass ein Verhandlungsfehler festgestellt wird. Da werden schon Fehler festgestellt, wobei, es könnten noch viel, viel mehr sein.

Aber das ist halt, das muss man auch sagen, eine kostenlose Möglichkeit und es ist eine vorgerichtliche Möglichkeit. Viele Leute kommen hierher und sagen: Ich will den jetzt sofort verklagen! Da sage ich: Das geht nicht, Sie haben ja gar nichts in der Hand. Dass im Gesetz drinsteht, dass der Nachbehandler doch bitte darauf aufmerksam machen soll, dass der Vorbehandler einen Fehler gemacht hat, ist doch ein schlechter Witz! Wenn er es nicht macht, was passiert? Nichts, gar nichts. Das heißt, Sie haben nie irgendwas in der Hand und so können Sie nirgends in einen Prozess rein gehen. Denn der Prozess kostet Geld, ja. Und auf der anderen Seite stehen hochqualifizierte Versicherer-Anwälte. Das geht nicht. Wir haben ein strukturelles Ungleichgewicht und das ist durch das Patientenrechtsgesetz keinesfalls auf irgendeine Art und Weise besser geworden. Man müsste viel mehr an den Beweislasten tun.

Vielleicht hilft da gute Lobbyarbeit.

Ich kann eigentlich immer nur drauf aufmerksam machen, ich kann auch immer nur eigentlich die Öffentlichkeit drauf aufmerksam machen: So siehtʼs im Moment aus! Ich habe sehr stark den Eindruck, wenn ich so im privaten Umfeld mit Leuten rede, denen ist das alles gar nicht so bewusst. Meine Tätigkeit ist extrem politisch geprägt. Man kriegt ja die Auswirkungen von den Gesetzen unmittelbar mit, ja. Aber die Meinungsvervielfältiger, die Presse, interessiert es nicht und es gibt keine Lobby, die mal darauf aufmerksam macht.

Aber es würde bestimmt helfen, wenn eine sogenannte Patientenorganisation, die bundesweit aufgestellt ist und eine riesige Infrastruktur hat, sich für so etwas einsetzen würde? 

Oder wenn sie vor Verhandlungen vor großen Bundesgerichten sind, haben Sie das auch, dass halt große Lobbyorganisationen dazugebeten werden. Allein um mal eine Sachkunde mal von einer anderen Ecke zu bekommen. Natürlich wäre das wichtig!

Herr Becker, Ihnen ganz vielen Dank für ihre Zeit!

Interview: Nathalie Beßler
Redaktionelle Mitarbeit: Stefanie Lechner