Sie liegen in Wartezimmern von neurologischen Praxen, in neurologischen Stationen von Krankenhäusern oder in Reha-Kliniken aus. Weil sie oft sehr ansprechend gestaltet sind, greifen MS-Betroffene und Angehörige gleichermaßen nach ihnen. Man kann sie kostenlos mitnehmen und abonnieren. Nur wer genau hinschaut erkennt: das hier sind keine harmlosen Ratgeber, sondern Kundenzeitschriften von Pharmaunternehmen mit dem Ziel: Umsatz steigern. Im Krankenhaus oder einer Praxis sind diese Hefte nicht nur völlig fehl am Platz, sondern auch schädlich.
Sie heißen „MS persönlich“, „Befund MS“, „Living MS“ oder auch „Extralife“ und „Lidwina“.[1]„Living MS – Multiple Sklerose Patienten-News“ wird von Merck Serono seit 2013 für den österreichischen Markt herausgegeben. Merck produziert Rebif. „Lidwina – Magazin für … Weiterlesen Dass es sich um Kund*innenzeitschriften handelt, ist meist nicht leicht zu erkennen, oft verrät nur der Blick ins Impressum wer Herausgeber*in ist. So muss es auch sein, denn bei Kund*innenzeitschriften gilt es, den „werblichen Charakter zu vermeiden“[2]Weichler, K. und Endrös, S.: Die Kundenzeitschrift, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2005, S. 27.. Diese Magazine sind Teil eines so genannten Cross-Media-Gesamtkonzepts der „Therapiebegleitung“, das zusätzlich zu den Zeitschriften noch aus Infobroschüren, Internetseiten, YouTube-Kanälen, Blogs und vielem mehr bestehen kann. Und auch hier ist so gut wie nie erkennbar, wer diese Seiten und Kanäle betreibt. Die Zeitschriften sind in diesem Portfolio das älteste Medium, die Zeitschrift „Lidwina“ ist seit 2004 auf dem Markt, die anderen erschienen erstmalig um das Jahr 2013 herum, als eine Vielzahl an neuen MS-Medikamenten den Markt flutete und beworben wurde. Sie sind auch das teuerste Medium, denn hier summieren sich zwei bis drei Ausgaben pro Jahr mit Auflagen von vielen tausend Exemplaren, sowie Druckkosten und die bundesweite, kostenlose Verteilung. Wer für den redaktionellen Teil, also Texte und Layout, einen Verlag beauftragt, zahlt obendrein noch Honorare.
Das so gut wie alle Pharmafirmen, die ein MS-Medikament auf dem Markt haben, an diesem klassischen Instrument der Öffentlichkeitsarbeit festhalten, lässt vermuten, dass sie es für enorm erfolgreich und effektiv halten. Dass es sich bei den Magazinen tatsächlich nicht um patientenorientierte Ratgeberzeitschriften, sondern schlicht um Kund*innenzeitschriften handelt, lässt sich daran erkennen, dass sie fast ausnahmslos Kriterien folgen, die, laut Fachliteratur, eine erfolgreiche Kund*innenzeitschrift ausmachen sollen: Exklusivität, Kompetenz, Kundenorientierung, Dialogorientierung und Unterhaltsamkeit, hinzukommen umfangreiche Service- und Ratgeberangebote [3]Röttger, U.: „Kundenzeitschriften: Camouflage, Kuckucksei oder kompetente Information“, in: Vogel, A. und Holtz-Bacha, Ch. (Hrsg.): Zeitschriften und Zeitschriftenforschung, Wiesbaden: … Weiterlesen. Untersucht wurden hierfür Ausgaben aus den Jahren 2015 und 2016.
Exklusivität
„Kundenzeitschriften erscheinen im Zeitschriftenformat, weil sich so in Verbindung mit dem passenden Papier und einem größeren Umfang eine höhere Wertigkeit erzielen lässt.“[4]Ebd., S. 173 Und in der Tat: All diese Zeitschriften liegen gut in der Hand, das Layout ist bunt und ansprechend gestaltet. Insbesondere „Lidwina“ ist bemüht, mit ihrem Spezialformat, etwas kleiner als die anderen, und dem auf dem Cover abgedruckten Preis „Schutzgebühr 2,50 €“, der „allenfalls unter psychologischen Gesichtspunkten Sinn macht“[5]Ebd., S.Weichler, S. 20., eine besondere Wertigkeit der Zeitschrift auszudrücken. Die Artikel der Zeitschriften, insbesondere derer, die direkt von den Pharmafirmen herausgegeben werden, sind mit teils hochwertigen Agenturfotos und Grafiken illustriert. „Die ideale Bildsprache im Kundenmagazin orientiert sich an der Lebenswelt des Lesers“[6]Ebd., S. 151, die fröhlichen und gesunden jungen Menschen mit Modelmaßen, die auf den Fotos dieser Zeitschriften abgebildet sind, stellen allerdings nicht die Lebenswelt der meisten MS-Betroffenen dar. Exklusivität drückt sich auch darin aus, dass man viele Zeitschriften lange nur im Abonnement beziehen konnte. Mittlerweile stehen die meisten dieser Zeitschriften auch online zum Lesen zur Verfügung.[7]„Befund MS“ ist auch hier eine Ausnahme, diese Zeitschrift können nur „Praxen, Krankenhäuser und Selbsthilfegruppen“ ab einer Stückzahl von 50 beziehen – nur so lässt sich eine … Weiterlesen
Kompetenz
Kompetenz drückt sich, würde man annehmen, durch eine hohe (gesundheits) -journalistische Qualität der Artikel aus.[8]Lilienthal, V., Reineck, D., Schnedler, T. (Hrsg.): Qualität im Gesundheitsjournalismus, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2014, S.9. Nicht so in diesen Zeitschriften. Eine Vielzahl von Themen wird präsentiert, aber meist nur oberflächlich. Mit diesen Themen verbundene politische, wirtschaftliche und ethische Fragen werden nicht angesprochen. Man hält es auch nicht für nötig, den Leser*innen komplexe Sachverhalte verständlich zu machen. Auch ist die Darstellung der Themen nicht vollständig, so dass sich „Nutzer ein eigenes Bild von einer gegebenen Thematik machen“ könnten.[9]Ebd. Von Sachlichkeit und Unabhängigkeit der Artikel kann auch keine Rede sein. Vielmehr entsteht oft der Eindruck übermäßig emotionaler oder dramatisierender Darstellung. Quellenangaben finden sich lediglich in „ms persönlich“, in „Living MS“, „Lidwina“ und „Extralife“ tauchen sie nur selten auf, „Befund MS“ verzichtet ganz auf sie, was vermuten lässt, dass hier lediglich Anzeigen und Pressemitteilungen abgedruckt werden.
Für die Herausgeber*innen der Zeitschriften drückt sich Kompetenz vor allem durch Themenvielfalt und die vermeintliche Fachkompetenz der Autoren aus: So gibt sich die Redaktion von „Living MS“ große Mühe, immer wieder Autoren aus den MS-Ambulanzen für Artikel zu verpflichten. Auch „Lidwina„ ist um Fachkompetenz, beispielsweise durch Ärzt*innen als Autor*innen, bemüht. Nur in diesen beiden Zeitschriften werden Autor*innen auch überhaupt namentlich genannt. In „Extralife“ und „Befund MS“ finden sich hingegen keine Hinweise auf die Autor*innen der Artikel. Eine weitere Gruppe von Autor*innen, die Fachkompetenz vermitteln sollen, sind MS-Betroffene: „Lidwina„ beschäftigt einen MS-Betroffenen als Redakteur und in den Ausgaben treten häufig MS-Betroffene als „Fachleute“ auf. Ebenso in „ms persönlich„. Hier kommt zum Beispiel eine MS-betroffene Rechtsanwältin zu Wort. In „Extralife„ treten häufig „berühmte“ MS-Betroffene auf, sie zeichnen für Vorwort und Titelstory verantwortlich. In „Living MS“ hingegen treten Betroffene und deren Angehörige nur insofern als Autor*innen auf, um über ihr Leben mit MS oder über Reisen zu berichten. Trickreicher geht es in „Befund MS“ zu, hier wird auch schon mal eine Werbeanzeige als Betroffenenbericht getarnt.[10]Siehe beispielsweise Ausgabe 01/2015, S. 27. Für „Befund MS„ drückt sich Kompetenz außerdem folgendermaßen aus: „Die enge Verzahnung mit Patientenorganisationen und Experten aus medizinischen Forschungseinrichtungen und Kliniken gewährleistet eine aktuelle und kompetente Berichterstattung aus erster Hand.“ [11]Siehe https://www.gfmk.de/unternehmen/ [28.07.2016].
Dialogorientierung
Von einer MS-Ratgeberzeitschrift würde man erwarten, dass sie MS-Betroffene zum Dialog einlädt, denn für viele MS-Betroffene hat der Austausch zu Themen rund um die MS einen hohen Stellenwert. Bei den vorliegenden Zeitschriften geht das Dialogangebot und der „Kundenkontakt“ jedoch nicht über ein Minimum hinaus. Zwar haben alle Zeitschriften, bis auf „Befund MS“, ein Vorwort und fordern in diesem zum Feedback durch die Leser*innen auf, so bittet „Living MS„ um „Lob, Anregungen und Kritik“ und „ms persönlich„ „freut sich auf Feedback“. In „Befund MS“ findet sich am Ende jeder Ausgabe gar die Aufforderung zum Mitgestalten und Einsenden von Beiträgen. „Lidwina“ hat jedoch als einzige Zeitschrift eine Rubrik „Leserbriefe“. „Living MS„ verspricht, dass bei Feedback eine Antwort „postwendend“ käme, eine Rubrik für Leserbriefe gibt es allerdings nicht. Die Aufforderung zum Feedback taucht dann ab der Ausgabe 01/2016 bereits nicht mehr auf. „Extralife„ verzichtet ganz auf Kundendialog in der Zeitschrift selbst, verweist aber in jeder Ausgabe an das „Therapiebegleitprogramm“, also das Online-Servicecenter mit Hotline, Apps und Twitter-Account, die Feedback ermöglichen.
Kundenorientierung und Unterhaltsamkeit
„Leser von Kundenzeitschriften wollen Spaß haben bei der Lektüre, abgelenkt werden von den Problemen des Alltags oder sich die Zeit vertreiben. Unterhaltsam werden Kundezeitschriften durch verschiedene Maßnahmen. Dazu gehört ein verständlicher, anregender Sprachstil, der sich am Bildungshintergrund der jeweiligen Zielgruppe ausrichtet.“[12]Weichler, S. 28. Die Themen der Artikel orientieren sich in all diesen Zeitschriften daran, was Betroffene und Angehörige vielleicht interessieren könnte. Eine wichtige Komponente sind dabei Service- und Ratgeberangebote. Sie reichen von Glossaren wie in „Living MS“ und „Befund MS„ über eine Seite mit Rezepten oder einem kurzen Artikel zum Thema Ernährung in jeder Ausgabe der „Lidwina„ bis hin zu Yoga-Übungen, „Rätsel-Spaß“, Buchtipps, Links, Rezepten und Terminen, die in „Living MS„, „Extralife„ und „ms persönlich„ etwa ein Viertel jeder Ausgabe füllen. In „Befund MS„ machen Tipps und Hinweise mehr als die Hälfte des Zeitschrifteninhalts aus. Dass Kund*innenzeitschriften nicht zuletzt auch eine Unterhaltungsfunktion haben, ist von allen Redaktionen beherzigt worden.
Wo ist die Werbung?
Nur in „Befund MS„ erscheint eine Vielzahl von erkennbar gewerblichen Anzeigen für alles Mögliche, von Kathedern bis hin zu Kur-Kliniken. In allen anderen Zeitschriften weisen lediglich dezent platzierte „Informationen“ auf das eigene Medikament hin. Diese Zeitschriften bemühen sich stattdessen um den Aufbau von Glaubwürdigkeit und Schaffung von Vertrauen.[13]Röttger, S. 116 Zwar übernehmen nicht die Leser*innen, also die MS-Patient*innen, sondern die Krankenkassen die teils sehr hohen Kosten der Medikamente. Aber für Konzerne ist es wichtig, dass Betroffene ihr Medikament regelmäßig und vor allem dauerhaft, trotz Nebenwirkungen und mäßiger Wirksamkeit, einnehmen, also adhärent sind, wie es in der Fachsprache heißt. Wie sie genau dabei vorgehen, soll im Folgenden deutlich werden.
Wie und mit welcher Frequenz das Thema Adhärenz in Artikeln Thema ist, unterscheidet sich stark von Zeitschrift zu Zeitschrift. „Living MS„ transportiert die Wichtigkeit einer regelmäßigen Medikamenteneinnahme über die Aussagen einer jungen Betroffenen. Der Artikel selbst dreht sich vordergründig um das Thema Familiengründung bei MS. Und dann liest man dort: „Es gibt da sicherlich einen Zusammenhang mit der, um nicht zu sagen peniblen Einnahme der Medikation und dass ich keine Schübe habe.“ Und auch ihr Mann meint „Das muss zusammenhängen.“[14]Living MS, Nr. 01, 2016: „Ain´t no mountain high enough“. Wer regelmäßig seine Medikamente nimmt, hat keine Schübe, ein Versprechen, dem selbst die Zulassungsstudien der Medikamente widersprechen, für das hier so subtil geworben wird.
Bei der Zeitschrift „Extralife“ wird angenommen, dass, wer sich primär mit alltäglichen Aktivitäten wie Arbeit, Hobby und Partnerschaft beschäftigt, womöglich ein Risiko eingeht, „dass die ersten Symptome eines Schubes nicht ernst genommen werden und eine frühzeitige Therapie verpasst wird.“[15]Extralife, Nr. 20, April 2015: „Wege zur Krankheitsbewältigung“. Dabei wird nicht erklärt, was mit einer frühzeitigen Behandlung gemeint ist und was genau verpasst werden soll. Außerdem löst dieser Satz Verunsicherung dahin gehend aus, dass es kritische Zeitfenster für eine Behandlung gäbe. Eine Aussage die bis jetzt wissenschaftlich noch nicht belegt wurde. Im Artikel „DMSG-Internettool“[16]Extralife, Nr. 21, wird darauf hingewiesen, dass Patient*innen, die eine Therapie abbrechen, wohl „die Wirkweise im Körper zu wenig erkennen.“ Implizit wird damit behauptet, dass jeder, der weiß, wie MS-Medikamente funktionieren, diese auch nimmt. Einerseits wird hier das sogenannte Zahlenargument eingesetzt. Es basiert auf der Annahme, dass eine Meinung eher stimmt, wenn viele hinter dieser stehen. Dieser Trick funktioniert sehr gut, da sich die Wenigsten gerne gegen eine Meinungsmehrheit stellt. Andererseits kann diese Aussage Verunsicherung schüren, denn wer kann von sich aus schon behaupten, die genauen Wirkmechanismen seines MS-Medikamentes zu kennen. Vielleicht steckt ja in den Daten, die man zum Teil ohne wissenschaftliche Ausbildung gar nicht verstehen kann, etwas, das die Medikamenteneinnahme wirklich unabdingbar macht? Beim Thema Nebenwirkungen wird hingegen weniger auf Druck als vielmehr auf Versprechen gesetzt: in der Geschichte einer Betroffenen aus der Aprilausgabe dieses Jahres heißt es: „Eine hochwirksame Therapie führte schließlich zum vollen Erfolg: Seit über 2 Jahren ist Frau Gronstedt schubfrei und es geht ihr gut. Nebenwirkungen hat sie keine.“
Gleich der erste Artikel der „MS persönlich“ mit dem Titel „Aufbruch in eine neue Zeit“[17]MS persönlich, Ausgabe Nr. 1/, 2015. scheint nur ein Ziel zu haben, nämlich dem Betroffenen den Wert einer Medikation möglichst nachdrücklich zu verdeutlichen. „Bei kaum einem anderen Krankheitsbild hat es in letzter Zeit so große Fortschritte gegeben“, oder: „Durch die medikamentöse Therapie wurde es erstmals möglich, das Krankheitsbild zu kontrollieren und der Entwicklung von Behinderung entgegen zu wirken“, oder: „[…] dass sich das Fortschreiten der Erkrankung hemmen lässt.“ Absolute Zahlen oder Studiendaten, um dies zu belegen, werden nicht genannt. Im Artikel „Die Behandlung mit dem Arzt gemeinsam festlegen“ wird noch etwas anderes deutlich, eine Entscheidung für oder gegen eine Medikation wird dem Betroffenen gar nicht erst eingeräumt, denn die Medikamente sind „notwendig“, eine Aufklärung durch den Arzt/die Ärztin soll die Therapietreue der Patient*innen sicherstellen und ihnen nicht die nötigen Informationen vermitteln, um selbstbestimmt zu entscheiden, ob sie eine Therapie überhaupt möchten. Auch in „Lidwina„ ist das Thema Adhärenz häufig vertreten. So finden sich in 4 von 5 Ausgaben entsprechende Inhalte. Im Artikel „Wirkung kommt von Einnahme“ fasst der Autor selbst sehr passend zusammen, warum die Pharmafirmen überhaupt ein so vielfältiges Betreuungsangebot für MS-Betroffene anbieten. „Diese ganzen Maßnahmen dienen dazu, die individuelle Adhärenz zu stärken.“ Auch wenn, je Medikament, nur bei 7% bis 14% der Betroffenen in den Zulassungsstudien eine Verminderung eine Behinderungsprogression zu beobachten war, ist der Artikel nicht um folgende Aussagen verlegen: „ist es heute mit sehr viel größerer Wahrscheinlichkeit so, dass die regelmäßige Medikamenteneinnahme eine Verschlimmerung der Krankheit verhindert.“
Insbesondere Ausgabe 1/2015 der „Befund MS“ bietet ein wahres Feuerwerk an Pharmaslogans, die, ob inhaltlich passend oder nicht, in einer großen Zahl von Artikeln zu ganz unterschiedlichen Themengebieten zu finden sind, beispielsweise: „Klar ist mittlerweile, dass eine möglichst rasch nach der Diagnosestellung eingeleitete verlaufsmodifizierende Therapie in den meisten Fällen den Krankheitsverlauf positiv beeinflusst und das Fortschreiten der Krankheit verzögert.“[18]Befund MS, Nr. 1, 2015, Artikel: „Autofahren bei MS“. Im Artikel „MS verlangsamt durch Therapietreue“ wirbt allein schon die Überschrift für die Notwendigkeit der Therapietreue, weitere Versprechen folgen: „[…] das eine frühzeitige und anhaltende Behandlung der MS mit verlaufsmodifizierenden Medikamenten die Schubrate verringert und damit den Krankheitsverlauf aufhält“, oder: “das Risiko für eine schwerwiegendere körperliche Beeinträchtigung sinkt.“ Neben Versprechungen finden sich auch Aussagen, die Angst machen, beispielsweise im Artikel „MS reißt Löcher in den Alltag“: „Durch die Krankheit können so genannte ‚Black Holes‘ im Gehirn entstehen, vor allem, wenn die MS nicht behandelt wird.“ Es wird suggeriert, dass, wer keine Medikation nimmt, den dauerhaften Verlust von Hirnvolumen riskiert.
Zusammengefasst verwenden die vorgestellten Kundenmagazine somit zwei primäre Strategien um Leser*innen zur Adhärenz zu bewegen: Versprechungen über die Wirksamkeit der Medikamente und das Schüren von Angst bei Nichteinnahme. Allein am Beispiel „Adhärenz“ lässt sich also zeigen, dass statt des „Aufbaus von Glaubwürdigkeit und Schaffung von Vertrauen“ eher Verunsicherung und Desinformation bewirkt werden. Der schöne Schein kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese harmlos wirkenden, kostenfreien Hochglanzhefte Schaden anrichten, denn sie führen den Bedarf von MS-Betroffenen an guten und objektiven Informationen mit den Zeitschriften, aber auch mit allen anderen als Ratgeber getarnten cross-media-Produkten zu Gunsten der Absatzsteigerung ad absurdum. Dass die Magazine weiterhin produziert werden und in Praxen und Krankenhäusern ausliegen, zeigt deutlich, dass MS-Patient*innen zu Kund*innen degradiert sind. Und die Tatsache, dass MS-Praxen, Ambulanzen und neurologische Stationen ganz unbekümmert diese Zeitschriften bereitstellen, lässt vermuten, dass sie sich längst auf die Seite der Pharmafirmen begeben haben.
Von Nathalie Beßler
Hier findet sich der Artikel als PDF.
Hier geht’s zur ganzen Ausgabe der ZIMS 3.
Quellen
↑1 | „Living MS – Multiple Sklerose Patienten-News“ wird von Merck Serono seit 2013 für den österreichischen Markt herausgegeben. Merck produziert Rebif. „Lidwina – Magazin für Menschen mit und ohne MS“ ist seit 2004 auf dem Markt und damit die „Dienstälteste“. Sie erscheint mit „freundlicher Unterstützung“ von Bayer, die Betaferon® produzierten. „Extralife – News und Lifestyle für Menschen mit MS“, von Novartis seit 2013 herausgegebene Zeitschrift. Novartis produziert Fingolimod®. ms persönlich – die MS-Begleiter Zeitschrift erscheint seit 2015, Herausgeber ist Genzyme Sanofi, das Unternehmen produziert Lemtrada® und Aubagio®. „Befund MS – Für ein besseres Leben mit MS“ wird seit 2011 durch die GFMK GmbH & Co. KG herausgegeben. Diese Verlagsgesellschaft betreibt eine Gesundheitsplattform (www.curado.de) im Netz und gibt „Werbeangebote und Zeitschriften heraus, an deren Erstellung Selbsthilfeorganisationen beteiligt sind“, also nicht nur zum Thema MS, sondern auch zu Krebs, Asthma, Diabetes, Milchallergie (!) und vielen anderen Krankheiten. |
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↑2 | Weichler, K. und Endrös, S.: Die Kundenzeitschrift, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2005, S. 27. |
↑3 | Röttger, U.: „Kundenzeitschriften: Camouflage, Kuckucksei oder kompetente Information“, in: Vogel, A. und Holtz-Bacha, Ch. (Hrsg.): Zeitschriften und Zeitschriftenforschung, Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2002, S.121 |
↑4 | Ebd., S. 173 |
↑5 | Ebd., S.Weichler, S. 20. |
↑6 | Ebd., S. 151 |
↑7 | „Befund MS“ ist auch hier eine Ausnahme, diese Zeitschrift können nur „Praxen, Krankenhäuser und Selbsthilfegruppen“ ab einer Stückzahl von 50 beziehen – nur so lässt sich eine kostenlose Lieferung verwirklichen, teilt der Verlag auf Nachfrage mit. Sie ist nicht online verfügbar. |
↑8 | Lilienthal, V., Reineck, D., Schnedler, T. (Hrsg.): Qualität im Gesundheitsjournalismus, Wiesbaden: Springer Fachmedien 2014, S.9. |
↑9 | Ebd. |
↑10 | Siehe beispielsweise Ausgabe 01/2015, S. 27. |
↑11 | Siehe https://www.gfmk.de/unternehmen/ [28.07.2016]. |
↑12 | Weichler, S. 28. |
↑13 | Röttger, S. 116 |
↑14 | Living MS, Nr. 01, 2016: „Ain´t no mountain high enough“. |
↑15 | Extralife, Nr. 20, April 2015: „Wege zur Krankheitsbewältigung“. |
↑16 | Extralife, Nr. 21 |
↑17 | MS persönlich, Ausgabe Nr. 1/, 2015. |
↑18 | Befund MS, Nr. 1, 2015, Artikel: „Autofahren bei MS“. |