Einfacher als gedacht

Die Wirksamkeit von Ernährungsmodellen und Nahrungsergänzungsmitteln wird angepriesen, aber nicht untersucht. Zu teuer, ist das Hauptargument.

Immer wieder stoßen MS-Betroffene im Internet auf „Gesundheitsempfehlungen“, die angeblich MS heilen und/oder Symptome mildern sollen; dazu gehören die verschiedenen Ernährungsmodelle wie die Paleo-Diät und Nahrungsergänzungsmittel (NEM) wie Vitamin D.[1]siehe hierzu z.B.: Rehberg, Carina: „Gesunde Ernährung bessert Multiple Sklerose“ in: https://www.zentrum-der-gesundheit.de/ernaehrung-beimultipler-sklerose.html, 03.07.2020 [06.7.2020].Recherchieren wir das, wird schnell klar: Einen wissenschaftlichen Nachweis für diese Behauptungen bieten die Anbieter solcher Verfahren meistens nicht. Weisen wir auf diesen Missstand hin, hören wir häufig das Argument, dass sich ja niemand, außer der Pharmaindustrie, teure Studien leisten könne. Dabei wären viele für Patienten relevante Fragestellungen wie eben die Ernährungsempfehlungen durchaus mit vertretbarem Aufwand zu beantworten. Man müsste nur wollen. Schauen wir uns das genauer an:

Die pharmazeutische Industrie führt regelmäßig Studien durch, die zur Zulassung eines neuen Medikaments führen sollen. Die gesetzlichen Auflagen zum Wirksamkeits- und Sicherheitsnachweis sind enorm, was die Kosten in die Höhe treibt. Es ist natürlich ärgerlich, dass es keine Anreize für Wissenschaftler gibt, pharma-unabhängige Forschung durchzuführen, und auch kaum Finanzierungsquellen; aber es ist nicht korrekt zu behaupten, dass alle wünschenswerten Studien so teuer sein müssen wie die genannten Medikamentenzulassungsstudien, so dass man sie gar nicht durchführen kann.

Wie müssten solche Studien gemacht sein?

Nehmen wir das Beispiel der unzähligen Ernährungsempfehlungen und das reichhaltige Angebot an NEM, von denen gerne behauptet wird, dass sie MS-Symptome verbessern und die Entzündung und die Schübe reduzieren könnten. Wollte man als Anbieter von Ernährungstipps, Diäten oder NEM hierzulande eine Studie durchführen, dann müsste man tatsächlich sehr viel weniger Regularien befolgen, als es bei Arzneimittelstudien erforderlich ist. Zwar müsste man ein Studienprotokoll erstellen, sich überlegen, wie man die behaupteten Erfolge messen kann, ein Ethikvotum bei der zuständigen Ethikkommission einholen, Patienten rekrutieren, sie dokumentieren, die Ergebnisse auswerten und schließlich veröffentlichen. Und man muss sich Rat bei Statistikern holen, Kooperationen mit klinisch tätigen Ärzten eingehen und hat sicher einiges an Arbeitsaufwand und dabei natürlich auch Kosten. Aber das ist durchaus in einem Rahmen machbar, den etwa ein Produzent von Nahrungsergänzungsmitteln oder Netzwerke von Naturheilkundlern leisten könnten. Und vor allem ist es ethisch geboten, medizinische Angebote, mit denen man Geld verdient, wissenschaftlich zu untermauern, indem man einen Teil des Verdienstes in die Forschung steckt. Man müsste nur wollen.

Es ist bei der MS mit ihren verschiedenen Verläufen nicht einfach, Therapieerfolge zu quantifizieren, denn allein die Beurteilung, was ein Schub ist und was ein Fortschreiten der Behinderung, erfordert ärztliche Erfahrung und nachprüfbare Kriterien, dazu eine lange Beobachtungsdauer von mindestens zwei Jahren. Dies ist sehr schwierig durchzuführen und führt immer wieder dazu, dass auch ein großer Teil der Pharmastudien negativ ausgeht. Wenn es nicht um die Medikamentenzulassung geht, sondern „nur“ um eine Optimierung der Behandlung, kann man sich aber behelfen, indem man auf andere, leichter zu erhebende Verlaufsparameter umsteigt, wie z.B. die Lebensqualität, die Fatigue-Symptomatik oder die subjektive Beurteilung von Patienten, ob ihre Behinderung zugenommen oder abgenommen hat. Diese Art der Dokumentation hat den Vorteil, dass erhoben wird, was für Betroffene wirklich wichtig ist: ihr eigenes Befinden. Vom Studiendesign her könnte man so vorgehen, dass eine Patientengruppe eine einheitliche Behandlung bekommt, also z.B. ein bestimmtes NEM, und der Zustand vor Therapie mit dem Befinden der Gruppe zu einem späteren Zeitpunkt verglichen wird, oder man vergleicht zwei Patientengruppen miteinander, von denen nur eine die Behandlung bekommt, die andere nicht. Die Verteilung auf die Gruppen sollte zufällig sein, die Therapie „verblindet“, wenn das möglich ist, was aber nicht immer der Fall ist. Es macht also auch hier Mühe und Kosten, aber es ist keineswegs unmöglich. Man müsste nur wollen.

Es gibt also durchaus machbare Studiendesigns, um erste Hinweise für den Nutzen einer Methode zu liefern. Umso unverständlicher, dass Anbieter von „alternativen Behandlungsmethoden“ sich dieser Möglichkeit nicht bedienen, gerade wenn sie der klassischen Schulmedizin unethisches Verhalten durch „Verheimlichung“ oder „Unterdrückung“ vorwerfen. Unethisch ist es, eine Behandlungsmethode anzuwenden, die Risiken und Nebenwirkungen aufweist und deren Nutzen unklar ist. Unethisch ist es ebenfalls, wenn man glaubt, eine Behandlungsmethode für eine schwere Erkrankung gefunden zu haben und sich dann nicht dafür einzusetzen, dass sie anerkannt wird. Aber vielleicht geht es auch schlicht darum, ein einträgliches Geschäftsmodell nicht zu gefährden, indem man die eigene Behandlung einfach nicht auf ihre Wirksamkeit hin überprüft.

Jutta Scheiderbauer und Christiane Jung

Quellen

Quellen
1 siehe hierzu z.B.: Rehberg, Carina: „Gesunde Ernährung bessert Multiple Sklerose“ in: https://www.zentrum-der-gesundheit.de/ernaehrung-beimultipler-sklerose.html, 03.07.2020 [06.7.2020].