Ob Blinddarmentfernung, Kaiserschnitt oder Rücken-OP, Gründe für operative Eingriffe unter Narkose gibt es viele. Müssen sich MS-Betroffene eigentlich Sorgen wegen der Anästhesie machen?
Gerade bei größeren Eingriffen, die selbstverständlich auch bei MS-Betroffenen nötig werden können, wird eine Vollnarkose oder Allgemeinanästhesie eingesetzt, nicht nur, weil das für Patienten weniger Schmerz und Stress bedeutet, sondern eben auch, damit Ärzte in Ruhe operieren können. Wenn eine OP ansteht, geht es aber nicht nur um das Gelingen des Eingriffs, sondern auch um die Sicherheit der Patienten unter der Narkose. Spätestens im Vorgespräch werden MS-Betroffene auf ihre Erkrankung angesprochen oder gefragt, ob sie ein MS-Medikament nehmen. Oft sind Betroffene dann verunsichert: Gibt es etwas vor dem Eingriff zu beachten? Wirken Narkose oder Betäubung so wie bei anderen auch? Werden Schübe durch eine Anästhesie ausgelöst? Wir wollen versuchen, auf Basis eines Übersichtsartikels die wichtigsten Fragen zu beantworten.[1]A. Durst et al.: „Anästhesie und Multiple Sklerose – Was gibt es zu beachten?“, in: Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerztherapie, 2016; 51, S. 458–67.
Beim Vorgespräch bitte ausführlich sein
Untersuchungen haben gezeigt, dass MS-Betroffene sich bezüglich der Auftretenswahrscheinlichkeit und -häufigkeit von möglichen Risikofaktoren bei der Anästhesie tatsächlich von der Normalbevölkerung unterscheiden können. Beispielsweise ist bei MS-Betroffenen das Risiko für Atem- oder Schlafstörungen, aber auch für Herzinsuffizienz oder arterielle Verschlusskrankheiten erhöht. Und da diese Erkrankungen wiederum das Risiko für die Operation erhöhen können, ist es wichtig, dem behandelnden Arzt alle bekannten Diagnosen mitzuteilen. Auch MS-Medikamente und ihre Nebenwirkungen können sich auf die Narkose auswirken, daher sollten auch alle aktuell eingenommen Medikamente dem Arzt mitgeteilt werden. Denn eine häufige Nebenwirkung von MS-Medikamenten sind Infektionen der Atemwege, diese wiederum können zu Beatmungsschwierigkeiten während der Operation führen. Nebenwirkungsbedingte Blutbildstörungen sorgen im Extremfall für einen erhöhten Bluttransfusionsbedarf. Leberfunktionseinschränkungen reduzieren die Fähigkeit des Körpers, Arzneistoffe zu verstoffwechseln und der mit vielen MS-Medikamenten assoziierte zu niedrige Blutdruck kann intraoperative Blutdruckabfälle bedingen. Relevante Interaktionen mit anästhesiologischen Substanzen weisen MS-Therapeutika hingegen selten auf. Beispielsweise schwächt Azathioprin die Wirkung depolarisierender Muskelrelaxanzien[2]Mittel zur Entspannung der Muskulatur, die während Narkosen routinemäßig eingesetzt werden. ab und Baclofen verstärkt die Wirkung anderer sedierender Arzneistoffe wie Opioide und Benzodiazepine. Bei MS-Betroffenen kann bei einigen Anästhetika die Wirkung verändert sein, so dass bei Muskelrelaxanzien höhere Dosen eingesetzt werden müssen, damit sie wirken.
Schübe durch die Narkose?
Einige Betroffene sorgen sich, dass eine Anästhesie ein Auslöser für einen MS-Schub sein könnte. Auch in der Wissenschaft wird dieses Thema diskutiert, beispielsweise wurde untersucht, ob rückenmarksnahe anästhesiologische Verfahren (Periduralanästhesie) MS-Symptome verschlechtern können. Die Daten zu dieser Fragestellung stammen dabei zum großen Teil aus der Geburtshilfe. So zeigen verschiedenen Studien, unter anderem eine Studie auf der Grundlage der Daten von 349 MS-Patientinnen, keine negativen Effekte. Zurzeit gibt es also keine Hinweise dafür, dass Anästhesie im Allgemeinen ein auslösender Faktor für eine akute MS-Verschlechterung ist. Aus Sorge auf eine Operation zu verzichten scheint also, nach dem aktuellen Forschungsstand, für MS-Betroffene nicht notwendig. Risiken und Nebenwirkungen kann es bei der Anästhesie geben, egal ob mit oder ohne MS. Betroffene sollten sich daher gut von ihrem behandelnden Arzt aufklären und mögliche Risikofaktoren gut abklären lassen.
Christiane Jung
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Die komplette Ausgabe ZIMS 5 findet sich hier.