Seit etwa 20 Jahren üben die so genannten „MS-Schwestern“ ihre Tätigkeit aus und könnten Patient*innen „erste Hilfe“ in Bezug auf die Überforderung und Sorgen leisten. Dies gelingt aber oft nicht, so berichten es viele Betroffene. Grund dafür ist die Ausbildung zur MS-Schwester.
Wie wird man MS-Schwester?
Die MS-Schwester wurde in Deutschland Ende der 1990er Jahre von pharmazeutischen Herstellern eingeführt, um die Adhärenz an die damals neuen, zu injizierenden und oft schlecht verträglichen MS-Medikamente zu erhöhen. Die Unternehmen entwarfen eigene Fortbildungskurse und bauten Pools aus Krankenpflegepersonal und medizinischen Fachangestellten mit Neurologieerfahrung auf, die sie als MS-Schwestern bei Bedarf zur Injektionsschulung zu den Patient*innen nach Hause schickten.
Für die neurologischen Praxen entstand dadurch ein kostenloser Service, denn die MS-Schwestern der Pharmaindustrie erledigten eine Arbeit, die eigentlich Aufgabe der behandelnden Ärzt*innen und des Praxisteams gewesen wäre. Pharmazeutische Unternehmen füllten mit der Erfindung der MS-Schwester eine Versorgungslücke, für die damals weder im ambulanten noch im stationären Sektor eine Kostenerstattung vorgesehen war.
An der ursprünglichen Situation hat sich seitdem einiges geändert. Es gibt – zusätzlich zu dem fortbestehenden System der von pharmazeutischen Herstellern beschäftigten MS-Schwestern – nun auch industrie-unabhängige Fortbildungen durch die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), neurologische Schwerpunktpraxen oder MS-Kliniken, und MS-Schwestern sind in neurologischen Ambulanzen und Praxen direkt angestellt. Auch hat sich ihr Aufgabenfeld in den letzten Jahren auf andere Aspekte des Therapiemanagements über die rein medikamentenbezogene Betreuung hinaus ausgedehnt. Allerdings existiert eine Grauzone, denn auch in einer Neuropraxis angestellte MS-Schwestern können Einzelverträge mit pharmazeutischen Herstellern eingehen und Patient*innenberatungen gesondert mit diesen abrechnen.
Alternativen zum Konzept der MS-Schwester
In den letzten Jahren wurde in Deutschland auf Initiative der Ärztekammern die Zusatzqualifikation der Entlastenden Versorgungsassistent*innen (EVA) für Medizinische Fachangestellte eingeführt. Die EVA darf einen Teil der ärztlichen Versorgungsaufgaben übernehmen, was dann auch von den Kostenträgern vergütet wird. Nur die Ärztekammer Westfalen-Lippe bietet bereits eine Zusatzqualifikation für Medizinische Fachangestellte in neurologisch-psychiatrischen Praxen an, die EVA-NP, die u.a. ein Aufbaumodul für Multiple Sklerose beinhaltet.
Auch wenn die flächendeckende Einführung der EVA-NP den unhaltbaren Zustand der Pharmadominanz in Ausbildung und Beschäftigung von MS-Schwestern beenden würde, wäre es damit noch nicht getan. MS-Versorgensw müssten die Behandlungskonzepte der Multiplen Sklerose wieder primär am Wohl der Patient*innen ausrichten und sich von Interessenskonflikten freischwimmen, die sie sich mit der Annahme der so freigiebig von der pharmazeutischen Industrie verteilten Unterstützung eingehandelt haben.
Was erwarten Betroffene von MS-Schwestern?
MS-Schwestern können schon unmittelbar nach der Diagnose Patient*innen helfen, das Diagnosegespräch noch einmal zu rekapitulieren und die dort vermittelten Informationen zu verstehen. Sie können Anlaufstellen rund um das Leben mit MS nennen, Hilfsmittel und Selbsthilfegruppen empfehlen. Bei einem Termin mit der MS-Schwester erwartet man persönliche Zuwendung und konkrete Unterstützung.
Die Realität sieht heute leider oft anders aus: MS-Schwestern übernehmen z.B. einen Teil der Diagnostik, verteilen Informationsbroschüren der pharmazeutischen Hersteller, werben für die Teilnahme an klinischen Studien, entlasten eher organisatorisch die Praxis oder die neurologische Klinik als menschlich die Patient*innen. Es ist mittlerweile Usus, Betroffenen gleich nach der Diagnose mit mehr oder weniger Druck zu empfehlen, mit einem Medikament zu beginnen. Schockiert von der Diagnose sind Betroffene im Gespräch mit den Ärzt*innen selten in der Lage, das Für und Wider einer Medikation abzuschätzen und die richtigen Fragen zu stellen. Patient*innen wünschen sich etwas anderes: eine Ansprechpartnerin, die Betroffene mit ihren Bedürfnissen und Zweifeln ernst nimmt, die unparteiisch ist und Zeit in das Gespräch investiert.
Welche Anforderungen stellen MS-Patienten an MS-Schwestern?
Die Ansprüche MS-Betroffener an die medizinische Betreuung variieren, aber in der Beratungstätigkeit kristallisierte sich heraus, dass Schwerpunkte teils originäre ärztliche Aufgabe sind, teils von MS-Schwestern erwartet werden.
Gerade gegenüber diesen zeigen Patient*innen oft besonders großes Vertrauen. Häufig haben Patient*innen geringere Hemmungen, ihnen ihre wahren Sorgen mitzuteilen. Umgekehrt bringen Patient*innen meist nicht all ihre Beschwerden oder Fragen in der kurzen Konsultationszeit bei vielbeschäftigten Neurolog*innen vor. An dieser Schnittstelle vermittelnd zu wirken, wäre die wichtigste Aufgabe einer MS-Schwester.
Jutta Scheiderbauer
Siehe hierzu auch den Artikel aus ZIMS 1: wie MS-Schwestern online geschult werden.
oh , da habe ich aber ganz andere Erfahrungen gemacht
habe zwar die neurologische praxis gewechselt, aber auch in der 2. war´s nicht besser
nurse im Dauerstress, die nie Zeit hat und die mir die Nebenwirkungen nicht glaubt – erst nach über 5 Monaten „durfte“ ich nach Gespräch mit dem Arzt das Medikament absetzen