Auch Kälte wirkt sich auf MS-Symptome aus

Temperaturschwankungen, egal ob warm oder kalt, stecken nicht alle MS-Betroffenen gut weg.

Im Sommer machen viele Betroffene Bekanntschaft mit dem sogenannten Uhthoff-Phänomen. Wärme, z.B. durch hohe Außentemperaturen, sorgt dabei für eine Verschlechterung neurologischer Symptome oder einer Einschränkung der allgemeinen Leistungsfähigkeit.[1]Wikipedia: Uhthoff-Phänomen, URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Uhthoff-Ph%C3%A4nomen&oldid=141030003 (20.09.2018). Aber nicht nur ein Rekordsommer kann das Uhthoff-Phänomen auslösen, manchmal reicht auch schon ein heißes Bad, ein Saunabesuch, Sport oder Fieber, das im Rahmen eines Infektes ausgelöst wird. Aber auch Kälte hat einen negativen Effekt auf MS-Symptome. Das ist nicht nur weitaus weniger bekannt, sondern leider auch ein deutlich schlechter untersuchtes Phänomen. Im Folgenden stellen wir einige Forschungsergebnisse dazu vor.

In einer französischen Studie aus dem Jahr 2004 wurden insgesamt 191 MS-Patient*innen zum Einfluss von Kälte oder Wärme auf ihre klinischen Symptome befragt. Unter anderem wurden Fatigue, Spastiken und Sehstörungen erfasst.[2]S. Petrellie et al. : „Influence of temperature changes on clinical symptoms in multiple sclerosis: an epidemiologic study“, in: Ann Readapt Med Phys., 2004; 47 (5), S. 204–8. Die 129 Frauen und 62 Männer, die an der Studie teilnahmen, waren durchschnittlich 47,6 Jahre alt, seit 13,5 Jahren erkrankt und ihr EDSS, ein Maß für die Gehfähigkeit, lag bei 5.2, was einer deutlichen Einschränkung entspricht. 147 Patient*innen (77%) berichteten von einem Einfluss der Temperatur auf ihre Symptomatik. Bei 104 Befragten kam es zu einer Verschlechterung unter Wärme und bei 82 zu einer Verbesserung unter Kälte. Interessanterweise berichteten 20 Patient*innen von einer Verschlechterung unter Kälte, sowie 19 Befragte von einer Verbesserung unter Wärme. Außerdem wiesen die Daten darauf hin, das Fatigue und Gehen am sensitivsten auf Temperaturveränderungen reagierten.

Semdal et al. untersuchten 2011 in ihrer Studie den Einfluss von warmem im Gegensatz zu kaltem Klima auf die Wirksamkeit von Physiotherapie bei Multiple Sklerose. Insgesamt 60 MS-Betroffene, die nicht negativ auf Hitze reagierten und Gehstörungen aufwiesen, wurden in die randomisierte Cross-Over-Studie miteingeschlossen.[3]T. Smedal et al.: „The influence of warm versus cold climate on the effect of physiotherapy in multiple sclerosis“, in: Acta Neurol Scand, 2011; 124, S. 45–52. Am Ende lagen für 51 Personen komplette Datensätze vor. Wie wurde dabei vorgegangen? Nach einer Eingangsphase mit Screening wurden die Patienten zufällig einer Gruppe zugewiesen. Je nach Gruppenzugehörigkeit erhielten sie entweder in einem Rehabilitationszentrum in Hakadal (Norwegen) oder auf Teneriffa (Spanien) vier Woche lang jeden Tag 60 Minuten Physiotherapie basierend auf dem Bobath-Konzept. Die Behandlung erfolgte jeweils zwischen Ende September und Anfang November. Ein Jahr später wurden die Gruppen gewechselt (cross-over) und die Ergebnisse miteinander verglichen. In Teneriffa lag die Temperatur während der Behandlungszeit bei durchschnittlich 22,8 Grad, in Hakadal bei 3 Grad, die relative Luftfeuchtigkeit bei 74,5% bzw. 77,0%. In Teneriffa lag die Sonnenscheindauer bei durchschnittlich 11 Stunden und 36 Minuten pro Tag und in Hakadal bei 9 Stunden und 6 Minuten. Die Physiotherapie wurde in gleicher Weise in beiden Zentren durchgeführt. Um dies zu gewährleisten, erhielten alle an der Studie beteiligten Physiotherapeut*innen eine viertägige Schulung im Vorfeld. Im „6MWT“, einem Test, der die Strecke, die eine Person in 6 Minuten im Gehen zurücklegt, misst, zeigten sich Unterschiede in beiden Gruppen. Die durchschnittliche Gehstrecke erhöhte sich nach der einmonatigen Behandlung in der Gruppe, die in Spanien behandelt worden war, durchschnittlich um 70 Meter, in Norwegen um 49 Meter, dieser Unterschied war statistisch knapp nicht signifikant. Nach drei Monaten lag der Zuwachs an Gehstrecke immer noch bei 45 Metern (Spanien) und 33 Metern (Norwegen). Nach sechs Monaten lag die Verbesserung der Gehstrecke bei durchschnittlich 43 Meter bzw. 20 Metern, damit war der Unterschied statistisch signifikant. Außerdem erlebten die Teilnehmer*innen die subjektive Belastung durch das Training im warmen Klima als geringer, gemessen mit der Borg-Skala.

Die oben zitierten Studien weisen darauf hin, dass sich sowohl Wärme als auch Kälte auf das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit von MS-Betroffenen auswirken können. Wie das genau zu erklären ist, wer nun von Wärme oder Kälte mehr profitiert und wie man diesen Umstand für die Verbesserung der Lebensqualität von Betroffenen nutzen könnte, all das sind Fragen, die mit dem heutigen Forschungsstand nicht beantwortet werden können. Weitere Studien sind definitiv notwendig. So lange bleibt Betroffenen nichts anderes übrig, als selbst zu testen, was ihnen guttut.

Christiane Jung

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Quellen

Quellen
1 Wikipedia: Uhthoff-Phänomen, URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Uhthoff-Ph%C3%A4nomen&oldid=141030003 (20.09.2018).
2 S. Petrellie et al. : „Influence of temperature changes on clinical symptoms in multiple sclerosis: an epidemiologic study“, in: Ann Readapt Med Phys., 2004; 47 (5), S. 204–8.
3 T. Smedal et al.: „The influence of warm versus cold climate on the effect of physiotherapy in multiple sclerosis“, in: Acta Neurol Scand, 2011; 124, S. 45–52.