Für den Welt-MS-Tag 2019 hatte die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) den Slogan #sichtbarwerden gewählt. Der Pressetext, den die DMSG dazu verfasst hat, ist leider in mehrerer Hinsicht problematisch.
Die Problematik ist ja nicht neu. Dass Symptome der MS Lebensqualität und Leistungsfähigkeit einschränken aber für andere nicht sichtbar sind, ist frustrierend und belastend, insbesondere wenn der Vorwurf der Simulation laut wird. „Erkrankte leiden dann nicht nur unter den Symptomen, sondern oft auch unter dem Unverständnis von Familie und Arbeitsumfeld, wo es zu falschen Einschätzungen wie „faul“ oder „unzuverlässig“ kommen kann“, so die DMSG. Hier wird deutlich: der Fokus liegt auf „den anderen“, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Die Gesellschaft als solche soll bitte mehr Verständnis für Symptome einer bestimmten Erkrankung zeigen.
Was kann also getan werden, um die Lage der Betroffenen zu verbessern? Dem Pressetext der DMSG entnimmt man nun sehr schwammige Vorschläge. Man wolle „MS-Erkrankten und Angehörigen eine Plattform bieten, um mit Vorurteilen aufzuräumen und Verständnis zu gewinnen“ oder: „Damit MS-Erkrankte statt Verständnislosigkeit Unterstützung bekommen, sind verlässliche Informationen wichtig – sowohl für sie selbst als auch für Ihr Umfeld.“
Übrigens soll das Umfeld ja auch schon Verständnis haben für die Belange von Epileptikern, Menschen mit Morbus Crohn oder anderen, eher unsichtbaren Erkrankungen. Aber niemand bezweifelt, dass Menschen mit chronischen Darmerkrankungen ein selbstständiges Leben führen und für ihre eigenen Belange eintreten können. Bei MS ist das ganz anders.
Das öffentliche Bild, wonach MS eine Erkrankung mit schwersten motorischen Einschränkungen und dauerhafter Hilfsbedürftigkeit, also „schwere Behinderung“ im landläufigen Sinne sei, ist das Ergebnis von mehr als 60-jähriger Öffentlichkeitsarbeit durch die DMSG. Damit wurden und werden Spenden eingeworben und wenn Betroffene dem nicht entsprechen, dann haben sie ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die DMSG sucht die Lösung darin, die nach außen nicht erkennbaren Beschwerden den schweren motorischen Einschränkungen, der Pflegebedürftigkeit und der Unselbstständigkeit gleichzusetzen. Damit agiert sie vielleicht zum Vorteil ihrer Organisation, aber trägt nicht zum Abbau der Vorbehalte gegen die Leistungsfähigkeit von MS-Betroffenen bei, sondern stärkt die Stigmatisierung auch gegen diejenigen, die dem sonst entgehen würden.
Natürlich ist es wichtig und richtig, unter anderem auch auf unsichtbare Symptome und Leiden chronisch Kranker aufmerksam zu machen: aber im gleichen Text wird darüber hinaus klargemacht, dass es die modernen Medikamente seien, die ein Leben mit MS vergleichsweise angenehm machen, was so ja nicht der Wahrheit entspricht und vor allem falsche Erwartungen weckt.
In einer Studie des UKE wurde ganz anderes deutlich: MS-Betroffene ohne oder mit sehr niedrigem Behinderungsgrad bescheinigen ihrer MS, trotz unsichtbarer Symptome wie Fatigue oder kognitiven Einschränkungen, meist dennoch einen guten Verlauf, halten ihre Lebensqualität für hoch und leben einfach ihr Leben weiter. Dies galt sowohl für Betroffene mit schubförmigen als auch mit chronisch progredienten Verläufen, und es war völlig unabhängig von der Immuntherapie, die zudem von 42% der Studienteilnehmer nie durchgeführt worden war.
Wie wäre es damit, dass die DMSG als Patientenorganisation mit gutem Beispiel voran geht? Indem man, zum Beispiel, damit aufhört, in Werbespots MS-Betroffene allesamt als traurige Loser im Rollstuhl darzustellen, in dem man flächendeckend Schulungen für medizinisches Personal anbietet, um mit falschen Informationen und Vorurteilen aufzuräumen, und, auch nur zum Beispiel, MS-Betroffene bevorzugt in den verschiedenen Strukturen der DMSG einstellt, um so deutlich zu machen, was für gute ArbeitnehmerInnen sie sind.
Eine Patientenorganisation, die hinter den Patienten steht, die sie zu vertreten vorgibt, bevor sie mit dem Finger auf andere zeigt, das wäre mal ein schönes Credo zum Welt-MS-Tag.
Jutta Scheiderbauer, Christiane Jung, Nathalie Beßler