Worum wir streiten III

Was ist wichtiger für die Arbeit der MS-Stiftung: Wissenschaftlichkeit oder Unabhängigkeit? Zwei Positionen dazu:

Christiane Jung:

Wissenschaftlichkeit ist der zentrale Faktor für unser Arbeiten, sie ist sozusagen der Boden, auf dem wir stehen. Ohne sie ist es unmöglich zu beurteilen, welchen Wert eine Studie hat, was ihre Ergebnisse bedeuten und ob man sich der Interpretation ihrer Autoren anschließen kann oder eben nicht. Sie sagt uns, wie wir neues Wissen generieren können, hilft uns, wichtige Fragen zu beantworten, z.B. für wen eine Therapie sinnvoll ist und für wen nicht. Sie ist unparteiisch, denn die Kriterien, die die Wissenschaft anlegt, sind für alle gleich: Jede Therapie muss beweisen, was sie kann und was sie für Risiken mit sich bringt, egal, ob die Anbieter der Therapie Pharmaunternehmen oder „Alternativmediziner“ sind. Ohne Wissenschaftlichkeit kann Unabhängigkeit ihren Wert verlieren. Denn selbst wenn man unabhängig ist, hat man ohne Wissenschaftlichkeit keinen objektiven Bewertungsmaßstab; es besteht die Gefahr, dass man sich von subjektiven Faktoren wie eigenen Vorstellungen, Gefühlen und Ängsten leiten lässt, oder man wird „Opfer“ der unschlagbaren Argumente von findigen Verkäufern, die ihr Produkt an den Mann bringen wollen. Eigentlich verbietet wissenschaftliches Arbeiten jede Art von Subjektivität, aber wenn Interessenskonflikte vorliegen, etwa, weil der Hersteller das eigene Gehalt zahlt, wird es problematisch. Und in solchen Fällen hilft Unabhängigkeit sehr, denn sie macht es einem wesentlich leichter!

Nathalie Beßler:

Wenn MS-Betroffene nach Informationen, beispielsweise zu Behandlungsmöglichkeiten suchen, können sie sich vor schönen und bunten Broschüren und Webseiten kaum retten. Das jeweils vorgestellte Medikament wird als sehr wirkungsvoll beschrieben und es scheint auch keine Nebenwirkungen zu geben, zumindest liest man da nichts darüber. Keine Webseite oder Broschüre hat Informationen über die Wirkung eines anderen Medikaments im Vergleich. Die Informationen unterscheiden sich oft nur im Layout. Wie soll man sich da entscheiden? Hier helfen nur unabhängige Informationen, zusammengestellt von jemandem, der kein Geld damit verdient. Um sich überhaupt einen Überblick verschaffen zu können, hilft wissenschaftliche Sachkenntnis. Im Fall von Medikamenten schaut man sich an, welche Daten es zur Wirksamkeit und Verträglichkeit gibt und vergleicht diese miteinander. Es stimmt, um Unabhängigkeit wertschätzen zu können, muss man auch Wissenschaftlichkeit zu schätzen wissen. Aber in einer Zeit, in der unter dem Label der vermeintlichen Wissenschaft, schädliche und falsche Theorien verbreitet werden, ziehe ich Unabhängigkeit vor. Denn Unabhängigkeit bedeutet immer auch Unbestechlichkeit, und das ist für die Arbeit unserer Stiftung enorm wichtig.